| Nachwort
 
 Nach 30 Sekunden Film 
                    oder drei Seiten Buch muß das erste Opfer auftauchen. 
                    So lautet das ungeschriebene Gesetz des Krimihandwerks. Je 
                    grausamer die Leiche verstümmelt, je mehr Blut fließt 
                    und Schüsse fallen, desto größeren Erfolg 
                    hat das Machwerk beim Massenpublikum.
 Nicht so die vorliegende Kriminalgeschichte, an der wohl auch 
                    nur eine Minderheit von Lesern ihren Spaß haben wird. 
                    Aber was für einen! Vordergründig geht es in der 
                    bizarren Geschichte, die ein Journalist einer kunstsinnigen 
                    Runde, erst im Gasthaus einer Rheinstadt, dann in einem Chemnitzer 
                    Weinkeller zum Besten gibt, um die Jagd einer chinesischen 
                    Geheimgesellschaft nach dem Urteller des Meißner Zwiebelmusters, 
                    das, wie kann es anders sein, aus China stammt. Berlin und 
                    Venedig sind die unmittelbaren Handlungsorte. Es gibt Schüsse, 
                    Tote und ein wenig Blut.
 Doch das ist nur die Oberfläche. Die eigentliche Reise, 
                    zu der uns dieser Text einlädt, findet im Kopf statt 
                    und führt in die Untiefen der Kulturgeschichte von Mexico 
                    über China und das alte Europa bis ins verwirrende Chaos 
                    unserer Tage hinein. So entpuppt sich der Krimi als raffiniert 
                    verpackte Wundertüte für Erwachsene: eine Schachtel 
                    voller Schachteln, aus denen wieder andere zutage treten. 
                    Legt man sie nebeneinander, ergibt sich ein Puzzle: ein Bild 
                    unserer Welt. Der Verfasser dieses Puzzles, Friedrich Dieckmann, 
                    wurde 1937 in Landsberg/Warte geboren. Er hat Germanistik, 
                    Philosophie und Physik studiert und von 1972 bis 1976 als 
                    Dramaturg am Berliner Ensemble gewirkt, bevor er Schriftsteller 
                    und Kritiker wurde. Neben Büchern über Schiller, 
                    Schubert, Brecht und Wagner schrieb der Altmeister des Essays 
                    einen Band zur deutschen Oper.
 Von dieser Bildungsbreite und -dichte lebt auch die Geschichte 
                    über die Blaumalerei. Ein Lesevergnügen, das die 
                    Zeichnungen von Horst Hussel zum Genuß steigern. 1934 
                    in Greifswald geboren, wurde Hussel gleich zweimal, an den 
                    Kunsthochschulen in Dresden und Berlin, wegen „Formalismus“ 
                    und „Dekadenz“ exmatrikuliert. Davon unbeirrt 
                    ging er seinen eigenen Weg, entwickelte er seit 1961 eine 
                    unverkennbar eigene Handschrift als Grafiker, Buchgestalter, 
                    Schriftsteller und Herausgeber.
 Hussel bevorzugt das Groteske, das Skurrile, doch nicht um 
                    des Auffallens willen. Er liebt die Außenseiter, die 
                    um unverfälschten Ausdruck ringen. Wie Kinder, die noch 
                    nicht die Kunst beherrschen, sich hinter gängigen Mustern 
                    zu verstecken. Daher das scheinbar „Kindliche“ 
                    seiner Zeichnungen, das in Wirklichkeit nur von der „Disziplin“ 
                    zeugt, das Gesehene „auf wenige Stufen“, aufs 
                    Wesentliche, „zu reduzieren“, wie Paul Klee dieses 
                    Verfahren nannte, das uns immer wieder staunend erfreut.
 
    Pressestimmen Der Essayist Friedrich Dieckmann 
                    ... wagt mit »Blaumalerei« einen ebenso überraschenden 
                    wie gelungenen Ausflug ins damit von ihm sofort neu (nämlich 
                    philosophisch) definierte Genre der Kriminalgeschichte. Mitsamt 
                    Horst Hussels hinreißend kryptischen Zeichnungen wird 
                    auch dieser Text dann zum Exempel auf die Möglichkeitsform: 
                    Ermittlung in eigener Sache.Gunnar Decker, in: Neues Deutschland, 3. Juni 2015
 
 Horst Hussel illustriert nicht, er illuminiert. Nach 
                    eigener Licht-, nein Leuchtgesetzgebung. (...) 
                    Dieckmanns Text zieht hinaus, unterm Diktum eines bizarren 
                    Falles um kostbarkeitsbesessene Mafiosi; ja, das Thema steht 
                    fest, aber dann wird rasch ein Auszug ins Freie daraus, nicht 
                    etwa ins Ungebundene, jedoch ins Höhere oder Tiefere, 
                    ins Raumzeitliche, das keine banalen Unterscheidungen zwischen 
                    Erzählung und Essay anstellt. Bemerkungen zur chinesischen 
                    Mauer weiten sich zum Sinnieren über das grundsätzliche 
                    Elend betonierter, steinerner Abgrenzung. Fabuliert wird über 
                    „eine Revolution, die man Restauration nannte“, 
                    was Assoziationen weckt zur Restauration, die in manchen Mündern 
                    Revolution heißt. Und höchst aufstörend setzt 
                    Dieckmann den Studentenaufstand 1989 auf dem Platz des Himmlischen 
                    Friedens ausholend in historische Kontexte und schlussfolgert: 
                    „China in der Hand einer überseeisch gelenkten 
                    Jugendbewegung – das hätte Chaos und Blut in weit 
                    größerem Maßstab bedeutet.“
 Dieckmann zu lesen, ist eine Arbeit, also: eine wahre Vergnügung, 
                    die etwas kostet, um sich auszuzahlen. Denn des Autors Denken, 
                    das Sprache wird, wehrt sich gegen das Geläufige der 
                    schnellen Begriffsreihungen, die dem Gemüte Anstrengung 
                    vermeiden. Da ist Intensität und Reichhaltigkeit – 
                    eingefangen im kleinen Geschichtenraum: der große Geschichtsraum. 
                    Abenteuer Sprache. Allein im Freigeist findet’s wirklich 
                    statt. So flaniert Dieckmann, dichtend, durch die Zeiten, 
                    heiter und hingebungsvoll im Skeptischen. Ein Spaziergänger 
                    durch Sphären des Politischen und Sozialen, deren Enge 
                    ihn doch insofern beglückend anfällt, weil gerade 
                    das Beschädigte, das Unvollendete eine treibende Medizin 
                    ist für Erweiterungen des kritischen Bewusstseins. Dieckmann 
                    verfügt über eine scheu-filigrane Erscheinungsart, 
                    die leicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass 
                    es sich bei ihm um einen Besessenen handelt. Seine schriftfixierte 
                    Existenz ist so sehr von Ausdrucksgabe und Sinntiefe genährt, 
                    dass sie, Text geworden, vom Leser als Erfahrung wahrgenommen 
                    wird und nicht als deren Ersatz stolziert. Er lebt sein Schreiben, 
                    es lebt ihn. So empfangen beide voneinander: Stütze.
 In der Unermüdlichkeit dieses Autors geht das hervordrängend 
                    Enzyklopädische eine Bindung ein mit geschliffenstem, 
                    hageldicht differenzierendem Wort; ganz Liebe zu stilvoller 
                    Komplikation. Das hebt an, das hebt sich ab, das ist hochdiszipliniert 
                    – wer Dieckmann liest, erlebt Freiheit gegenüber 
                    jeder Form (Nicht-Form) obwaltender Vokabularherrschaft.
 Hans-Dieter Schütt, in: Palmbaum, Heft 2/2015
 
 ... ein Krimi, der aufs Geistige 
                    zielt – aufs Staunen und Bedenken.
 Irmtraud Gutschke, in: Neues Deutschland, 15. Oktober 
                    2015
 
 
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