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Edition Ornament

Róža Domašcyna. Feldlinien. Gedichte

 

"Der Reigen der Tödin"
Vorzugsgrafik von Karl-Georg Hirsch

Róža Domašcyna
Feldlinien. Gedichte aus 25 Jahren

Hrsg., gestaltet und mit einem Nachwort versehen
von Jens-Fietje Dwars
Mit fünf Holzschnitten von Karl-Georg Hirsch
96 Seiten, Engl. Broschur mit handmont. Etikett
in Prägung, tintenblaues Vor- und Nachsatzpapier,
fliederfarbener Lesefaden, Holzschnitte in olivgrün
500 num. Expl.

50 Vorzugsexemplaren liegt je ein signierter
Holzschnitt "Der Reigen der Tödin"
von Karl-Georg Hirsch bei,
gedruckt von Bettina Haller im zweifarbigem Irisdruck
auf Hahnemühle Zerkall Bütten Alt Burgund.

Nur noch 3 Exemplare der VA lieferbar!

ISBN 978-3-943768-23-7

Vorzugsausgabe Nr. 1-50: EUR 59,90 EUR
Normalausgabe Nr. 51-500: EUR 14,90 EUR

Zu bestellen beim Herausgeber.

 

Vier Holzschnitte von Karl-Georg Hirsch zu den Gedichten "Unter einem gewaltig mildtätigen Horizont", "Abwarten was geschieht", "Zaungucker" und "Du wolltest stehenbleiben ...".
Hinzu kommt die Vorzugsgrafik als Frontispiz.

Eine Komposition nach Themenkreisen aus 74 Gedichten eines Vierteljahrhunderts.

 

   


Aus dem Nachwort

Feldlinien – das läßt an wogende Felder mit Spuren schwerer Traktoren denken, die sich wie Streifen quer übers Land ziehen, an Kornkreise oder jene riesigen Gebilde in der Peruanischen Wüste, die erst Luftaufnahmen als rituelle Tierzeichen zu erkennen geben.
Das Titelgedicht des vorliegenden Bandes spricht von dem halb Fertigen, an dem die Leute ihr Leben lang bauen. Von dem „mittel an zeit“, das ein jeder ergreift, damit es aufgehe, wie ein Samen, wenn man es losläßt. Das Geschaffene als Lebensfeld, sich rundend wie in Jahresringen.
Der Band, der 73 Gedichte aus einem Vierteljahrhundert vereint, bietet solche Feldlinien in vielerlei Gestalt: Linien, die das Arbeitsfeld der Autorin vermessen, die Bleibendes ausmachen und den Blick für Rätselhaftes schärfen. Indem die Gedichte nicht chronologisch nach ihren Entstehungsjahren geordnet, sondern nach Themenkreisen komponiert werden, erscheinen sie als lebendig verwobene Ganzheit, die noch andere Feldlinien assoziiert. In der Physik versteht man darunter jene Linien, die die Kraft eines Feldes verdeutlichen. Je dichter die Linien, desto stärker das Feld.
Der Prolog umkreist das Feld, schlägt den Grundton des Ganzen an: Leben in einem Land, das kein Land ist, das eine Sprache hat, die es nicht braucht. Die Lausitz als Land der Sorben. 1951 in Zerna bei Kamenz geboren, bringt Róža Domašcyna eine Erfahrung dreier Generationen zur Sprache: die Auflösung des gemeinsamen Lebensgrundes. Nicht nur die sorbische Sprache weicht im Alltag dem Deutschen, auch die damit verbundene Kultur erstarrt, auf exotische Trachten reduziert, zum Dekor für Spreewaldtouristen. Und der Boden schwindet unter den Füßen, denn ein Dorf nach dem anderen fällt der Braunkohle zum Opfer.
Von alledem berichten die Gedichte der Autorin, die zunächst Bergbau studiert hat, bevor sie am Leipziger Literaturinstitut die Tiefenbohrungen des Schreibens erprobte. So steigt sie in einem ersten Kreis in die eigne Kindheit hinab, um das Verstummen daheim, die verschwiegenen Wunden der Eltern zutage zu fördern. Und wird sich selbst zum Fabeltier, zur „habenix“, die nur einen „zungenbrecher/namen“ ihr eigen nennt, nicht ortbar im „treib/sand“ wandernder Dünen. Lebendig aufbegehrend, indem sie sich mitten hinein begibt in das Widersprechende, zwischen die Sprachen, die sie zum Puzzle mixt, zum dadaistischen Duda verwirrender Verhältnisse. Bis hin zum stummen Schrei der Zaungucker, die heute wieder, „ausgesetzt/am markt“, hinter unsichtbaren Zäunen stehn. Und da ist noch ein anderes Begehren, ein Feld, auf dem die Kraftlinien sich am stärksten verdichten: das Verlangen nach dem Anderen. Auch hier kein Idyll, keine „artigkeiten“. Liebe, die aufs Ganze geht – sinnlich, leiblich, direkt: „alles außer dir/ist außer mir“. In den sorbischen Mythen lebt, trotz katholischer Überformung, noch etwas heidnisch Archaisches fort. Da verkörpert sich das Weibliche nicht nur in der Dulderin Maria, sondern auch in der Tödin. Seit Jahren führen Karl-Georg Hirsch und Róža Domašcyna gerade über diese Gestalt einen Dialog in ihrer jeweils eigenen Sprache. Das Frontispiz zu diesem Band antwortet auf ein Gedicht, das einem Bild des Holzschneiders galt. In gebrochenen Erdfarben, mit Umbrabraun und einem Hauch Grün und Gelb, mögen die Holzschnitte den bitter-zarten Ton der Verse aufnehmen, dieses Sprechens gegen das Verstummen.

 

Leseprobe

Feldlinien

an der strecke
die häuser immer halb
fertig die menschen ihre leben immer halb
gelebt gedacht
daß es tatsächlich noch ein halbes gibt
und sie bauen an vergrößern entwerfen dazwischen
der wechsel im jahreskreis der kein ende findet
die zäsuren die man sich ausrechnet
da man sich zeiteinheiten anrechnet
von sommer zu
sommer der wind ist die episode
die den wechsel vorantreibt zwischen
anziehung abstoßung vollkommen
in dieser willkür was reif ist
was untragbar wird
richtet sich aus bricht
löst sich auf wird humus nimmt den keim
daß er seinem sinn nachgehe: zu tragen
ertragen daß es wächst
aus dem halb zwischen dem ist und dem war
dort am hang das haus das getier die person
mit ihrem mittel an zeit das sie ergreift
das sie sich abzählt und rundet
daß es ihr aufgeht
indem sie es losläßt


Wir saßen am fuß

Wir saßen am fuß eines hügels, das kind und ich.
Ich schlug ein buch auf. Lies laut, sagte das kind.
Da sprach ich: Li-Tai-Bo:
Entschwunden sind längst die Vögel in lichteren Höhn.
Wer weiß, wohin jedes müßige Wölkchen entwich.
Zwei gibt es, die können einander nie genug sehn:
Der Dsching-Ting-Berg und ich.

Ja, sagte das kind.


Zaungucker

Wir fassen uns und können es nicht fassen:
Hier sind wir wer, wir sind allein. Gelassen
ist nur der schnee, taut unterm fuß hinweg –
embleme, zeichen einer macht im dreck.

Sind wir denn kinder? Sind wir ausgesetzt
am markt, mit rotem heller strafversetzt?
Nichts spricht uns frei, wir haben laut geschwiegen,
sind hungrig, greifen alles, was wir kriegen,

und stopfen zuckerwatte in uns rein,
die liegen bleibt und drückt und wird zu stein.
Ich grab die hand mir in die tasche, grab mich ein
und schließ den mund, um stumm herauszuschrein.

 

Pressestimmen

Roza Domascyna schreibt – dichtet vor allem – sowohl sorbisch als auch deutsch, sie ist in beiden Sprachen zu Hause. Man könnte es auch so formulieren, dass mit dieser Dichterin sich das Sorbische im Deutschen zu Hause fühlt. Und das ist ein Reichtum für die deutsche Sprache. Dem slawischen Sorbisch, das zu verstummen droht, gibt Domascyna seine Lebendigkeit zurück, indem sie in ihren Gedichten einzelne Wörter geschickt in die deutschen Sätze herüberzieht und mit dem Sinn der Wörter und Wendungen so spielt, dass sie einem auch auf Deutsch verständlich werden.
Aber Domanscyna erläutert nicht etwa einfach nur Sprachliches. Vielmehr erzählt sie Geschichten anhand der zunächst unbekannten Wörter, mit denen sie spielt. Mal zeigt sie Bilder aus der Kindheit, mal greift sie auf die Kriegszeit zurück, porträtiert den verstummten Vater, die Großmutter, die sie sorbisch anspricht. Wie Traumgebilde wirken manche Gedichte, wie Schreckensträume einerseits und Liebesträume andererseits; nie trostlos oder weinerlich, sondern knapp und fein belichtet. Schön, diese souveräne Sprachbewahrerin zu kennen, eine deutsche Dichterin, die dem Leser neue Wörter oder Wortwelten schenkt ...
Gestaltet und mit einem Nachwort versehen hat den Band Jens-Fietje Dwars. Und zu der gut komponierten Auswahl der Gedichte aus 25 Jahren gehören 5 Holzschnitte von Karl-Georg Hirsch, der die Autorin mit seinen Arbeiten seit Jahren begleitet.
Zsuzsanna Gehse, in: Südkurier Nr. 159, 14. Juli 2014

Der Vers der 1951 geborenen Lausitzerin nimmt aus Erdberührung seine Himmelssehnsüchte. Krume und Kumulus. Beim Blick auf Landschaften und in Seelenverzweigungen: sichtende Benommenheit statt allzu passabler Intelligenz. Das Staunen als Ausdruck eines Innestehens, nicht der Befremdung. Sie lebt in den Schönheiten und Verlusten des Sorbischen; ihr ist Sprache wie ein Gras, das den Stein bewächst und das, einmal ausgestreut als Samen des Unkrauts, schleunigst das Weite sucht. Das Offene wie ein gelobtes Exil,„allein gelassen floh einzig/ mein verbliebener schatten/ schreiend über die tenne davon“. Hirschs Grafiken sind in in diesen Gedichten, die auch zerschundene Landschaft erzählen, wie Feiern einer störrischen, ungelenken Verschrobenheit ...
Die Gedichte der Sorbin sind Band 13 von Dwars' Edition. Es sind Bücher großer Liebe zur Kunst des Buchmachens ..., kurzum: buchkünstlerische Innigkeit, verlegerischer Idealismus.
Hans-Dieter Schütt, in: Neues Deutschland

Die Ernte aus vielen Jahren, fünf Einzelbänden und einem bislang unveröffentlichten Manuskript von 2013. Eine Exklusiv-Auswahl, vermischt mit Neuem; die Texte aus den Neunzigern überzeugten den Rezensenten am meisten. (...) Im Nachwort verweist der Herausgeber auf den „Grundton des Ganzen (…): Leben in einem Land, das kein Land ist, das eine Sprache hat, die es nicht braucht“. Dass aus derlei Zweifeln und Verzweifeltheiten dennoch Texte entstehen von verwirrender Schönheit, ist eine Freundlichkeit, die uns die Dichterin freigebig schenkt.
Matthias Biskupek, in: Palmbaum, Heft 2/2014

Die 1951 in der Nähe vom ostsächsischen Kamenz geborene Róža Domašcyna legt in der Edition Ornament unter dem Titel "Feldlinien" Gedichte aus 25 Jahren vor. Ihre Lyrik besticht mit souveräner Handhabung der klassischen lyrischen Methode, die aus einer Anekdote, einer kleinen Beobachtung großen poetischen Mehrwert gewinnt. Dies gelingt ihr in Liebesgedichten genauso wie in solchen, in denen sich die Dichterin von der sorbischen Tradition und Kultur bestimmt zeigt. "Ein sehr, sehr schönes Buch." (Thomas Kunst) "Ein herrlicher Band ..." (Michael Hametner)

Buchjournal, MDR-Figaro, 13. November 2013

... znowa sej wuwedomich sylnu skutkownosc, rjanosc a wuprajiwosc w lyriskej reci Róže Domašcyneje. Z tym menju wobe reci, w kotrymajž wona doma je. A tež w tutej zberce jewja so serbske slowa, kotrež basnica kaž samozrozumliwje do pozdatnje nemskeho konteksta splece, sukuje a rozsukuje. ... Do basnje „Puzzle“ (38) zaprija Róža Domašcyna dzele wobeju recow a zdobom dzelenje lyriskeho subjekta: „indem ich mich teile / teile ich meine sprache mittig / teile mich durch und mit“. A dzelenje je zdzelenje w zwukach recow, kotrež tworja zhusceny cylk z nad- a podzynkami ... Duet, duel a dual so w tematiskich kruhach lyrikarki rozprestrewaja a w napjatosci recow fascinuja. A štóž je so jónu wot basnjow Róže Domašcyneje zakuzlac dal, tón chce to stajnje znowa.
(.... erneut wurde mir die starke Wirkung, Schönheit und Aussagekraft der lyrischen Sprache Róža Domašcynas bewusst. Damit meine ich beide Sprachen, in denen sie zu Hause ist. Sorbische Worte stehen wie selbstverständlich im scheinbar deutschen Kontext, verknüpfend und auflösend umkreisen sie zum Beispiel das Thema Kindheit ... Das lyrische Subjekt deutet und sortiert Teile beider Sprachen nach „Puzzle“-Manier und stellt fest: „indem ich mich teile / teile ich meine sprache mittig / teile mich durch und mit“. Und die Teilung ist eine Mitteilung in Sprachlauten ... Duett, Duell und Dual breiten sich in den thematischen Kreisen der Lyrikerin aus und faszinieren im Spannungsfeld der Sprachen. Und wer einmal dem Zauber der Gedichte Róža Domašcynas verfallen ist, der will es immer wieder.)
Merana Cušcyna, in: "Rozhlad" 12/2014, Sorbische Kulturzeitschrift

 

 

 

 

 

 

 


Herstellung: poliTEXTbüro Update: 05.05.2020