Aus dem Nachwort
(...) Seit 150 Jahren geistert Eckermann als Spottfigur durch
die deutsche Literaturgeschichte. Nicht so in der jüngsten
Adaption des Stoffes, in dem vorliegenden Monolog von Jan
Decker. Seine Spielidee ist die denkbar schönste: Eckermann
kehrt 1846 nach Weimar zurück und muss sich für
seine Flucht verantworten. Johann Christian August Heinroth,
der erste deutsche Inhaber eines Lehrstuhls für „psychische
Therapie“, soll für den Hof Eckermanns Zurechnungsfähigkeit
begutachten. Heinroth hat tatsächlich den Begriff der
„Person“ in die Krankheitslehre eingeführt.
Störungen des Seelenlebens, wie sein Hauptwerk hieß,
wollte er ganzheitlich aus der Lebensführung eines Menschen
ergründen. Und so lässt er Eckermann in die Gründe
seines Scheiterns hinabtauchen. Da ist zunächst und immer
wiederkehrend die Armut, die jeden Ansatz einer geistigen
Selbstbestimmung im Keim erstickt. Devot gesteht er im ersten
Bild oder Akt seine Schuld, die in nichts als seiner Abhängigkeit
vom Hof und von Goethe besteht. Im zweiten spricht er sich
los davon, im wörtlichen Sinne: Wort für Wort würgt
er aus sich heraus, was er all die Jahre lang geschluckt hat.
All die Demütigungen, Grillen und Macken eines egomanischen
Genies, an dem ganz Weimar leidet. Doch der Befreiungsakt
scheitert erneut. Die verinnerlichte Stimme Goethes weist
Eckermann im dritten Bild in seine Schranken. Der Goethe in
ihm hat die Untersuchung inszeniert. Wie das? Der wirkliche
Heinroth war 1843 bereits gestorben. Deshalb schweigt er auf
der Bühne. Ist der Monolog das Traumspiel eines Verzweifelten,
der resigniert an den Ort seiner einstigen Hoffnung zurück
kehrt und den Verstand verliert? Nicht ganz. Der Wahn macht
ihn hellsichtig. Fortan spielt er mit Freuden, was ihm bislang
eine Qual war: den Papagei Goethes, jene Lebensrolle, für
die er sein Futter vom Hofe erhält. Und die ihm ermöglicht,
im vierten Band seiner Gespräche vielleicht doch die
Wahrheit zu sagen ...
Oder liegt die Wahrheit im Spiel selbst, in diesem Ringen
mit dem Über-Ich der deutschen Literatur, das wie im
Traum die Konturen einer anderen Anschauung der Dinge gebiert,
die Ahnung, dass wir mehr sind als Personen, weil Persona
ja nur die Maske meint, die wir einander vors Gesicht halten?
Jan Decker, der Autor dieses Traumspiels der Klassik, wurde
1977 in Kassel geboren, hat in Leipzig am Literaturinstitut
studiert und lebt dort als Verfasser von Hörspielen,
Theaterstücken, Essays und Erzählungen.
Kay Voigtmann, Jahrgang 1968, beglückt von Gera aus wachsende
Heerscharen von Kunstsammlern und Freunden des illustrierten
Buches mit seinen wundersamen Wesen: niedlichen Geschöpfen
mit insektenhaft gestreckten Gliedern und bissigen Zähnen.
Biedermeier-Helden in Kafkas Welt, unserer Welt. Und sind
wir nicht alle im Verhältnis zu den Goethes aller Zeiten
lauter Eckermänner?
Pressestimmen
Es mag zunächst überraschen,
dass Eckermann als Monolog ausgewiesen ist, die dramatis personae
aber Goethes einstiger Sekretär und Johann Christian
Heinrich Heinroth, Professor für psychische Therapie
an der Universität Leipzig, sein sollen. Der Untertitel
hat dennoch seine Berechtigung. Denn Heinroth war im Jahr
1846, in dem das Stück spielt, schon tot und soll (trotzdem)
für den Hof Eckermanns Zurechnungsfähigkeit begutachten.
So changiert das Stück im Spannungsfeld von Fakten und
Fiktion, ist Dokumentation und Traum zugleich. Der Grafiker
Kay Voigtmann aus Gera, Jg. 1968, hat Eckermanns introspektive
Bekenntnisse in filigrane Zeichnungen umgesetzt, die kafkaesk
anmuten.
Kai Agthe, in: Palmbaum. Literarisches Journal aus
Thüringen, Heft 1/2012
... ein tief bohrendes Gespräch um Ängste,
Abhängigkeiten und den Traum, Goethe zu entkommen. Bei
aller Nähe, die zwischen Eckermann und dem Publikum entsteht,
bleibt die Prosa kühl-distanziert, schlittert nie ins
Voyeuristische – auch dort nicht, wo es um das aus Goethes
Werk verbannte "Eingeständnis eines zu kurzen Pimmels
als Staatsgeheimnis" geht. Ein besonderer Genuss besteht
in der Leichtigkeit, mit der hier Fakt, Fiktion und Formulierkunst
zu einem schillernden Neuen verwoben werden. Bei aller Exquisität
und Gesetztheit seiner Prosa verfällt Decker nie in einen
künstelnden oder bloßstellend-satirischen Duktus.
Deckers Monolog hat seine bestrickendsten Seiten dort, wo
ein zeitlos-universeller Geist zwischen den Zeilen atmet:
Sein Weimar von anno 1846 wurzelt tief in unserer Gegenwart,
in unser aller Verhältnis zu Goethe. Es geht letztlich
um die Frage, ob man Goethe entkommt, indem man vor ihm flieht
oder indem man sich ihm stellt. Damit wirft der Monolog eine
existenzielle Frage auf, die man so schnell wie möglich
auch im Theater gestellt bekommen will.
Gregor Szyndler, in: Baseler Zeitung, 29.4. 2012
Deckers geschickt zwischen Komik und Tragik, Fakt
und Fiktion, Selbstverteidigung und Anklage changierender
Monolog präsentiert eine Figur, wie es sie in Goethes
Umgebung zuhauf gab. Das hatte freilich weniger mit Goethe
und mehr mit der ausgeprägten Untertanenmentalität
seiner Getreuen zu tun, die der Weimarer Dichter einerseits
beklagte, andererseits aber wohl auch erwartete. (...) Und
so roch es in der Nähe des Literaturtitanen – wie
Thomas Mann das ausdrückte – nur allzu sehr nach
Opfer.
Dietmar Jacobsen, in: Literaturkritik, Heft 6/2012
In mehreren Sitzungen mit dem Leipziger Medizinprofessor
und psychischen Therapeuten Johann Christian Heinroth versucht
Eckermann sich von seinem "Über-Ich" und der
Enge Weimars zu befreien, bis er am Ende doch erkennen muss,
dass "wir alle in Goethes Hand" sind und er nun
bereit ist, mit Freuden zu sein, was er bisher unter Qualen
war: "Goethes Papagei". Ob die Spielidee dieses
Einpersonenstücks einen Theaterabend tragen und die Zuschauer
fesseln kann, das wird eine künftige Aufführung
zeigen.
Dietmar Ebert, in: Thüringische Landeszeitung
(TLZ)
Es gibt sie noch, in Inhalt und Form sehr gute Bücher
zum erschwinglichen Preis. Gewiss, man muss sie suchen in
den Buchhandlungen - auch weil ihr konstantes Format und äußeres
Erscheinungsbild kein "lautes" ist, und ein Werbebudget
für auffällige Präsentation einen kleinen Verlag
überfordern. Doch die Suche wird belohnt. Einmal mehr
beweist das die vom Jenaer Jens-Fietje Dwars 2005 begründete
Reihe "Edition Ornament". (...)
Wie Eckermann von der Couch aus versucht, sich vom "Über-Ich"
und der Enge Weimars zu befreien, das ist spannend und mit
einer gehörigen Portion Vergnügen zu lesen.
Heinz Stade, in: Thüringer Allgemeine (TA)
Herausgeber Jens-Fietje Dwars hat einem jungen Autor ein Podium
geboten, der wiederum einem ollen Protokollanten die Ehre
gibt. Jan Decker: Eckermann oder die Geburt der Psychoanalyse
– „Theatermonolog in drei Bildern mit Zeichnungen
von Kay Voigtmann“. In diesem Stück soll der brave
Eckermann begründen, warum er immer wieder scheiterte,
an sich und natürlich an Goethe. Ob das spielbar ist,
bleibt vorerst eine Frage, gut lesbar ist es, meint der Rezensent,
eine Spezies, die Goethe bekanntlich gern totschlagen ließe.
Matthias Biskupek, in: Eulenspiegel, September 2012
(Das) Theaterstück könnte man sich auf kleinen Bühnen
oder auch als Hörspiel sehr gut vorstellen. Decker versteht
sich auf Eckermanns kleinen Kosmos, in dem auch das ambivalente
Verhältnis zu Goethe plastisch wird. Und es ist logisch,
dass bei einem Theatermonolog Heinroths Rolle eher als Transportmittel
der Handlung genutzt wird, um dem »Über-Ich«
des Klassikers Raum zu geben. Die Befreiung vom Schicksal
Goethe gelingt Eckermann nicht, bis zum Schluss ist das Ausgegrenztsein
von Rang und Stand sein Thema. Es mutet gestrig an und ist
eigentlich doch recht gegenwärtig.
Thomas Ernest, in: Ostragehege, 1/2013, Nr. 69, Dresden
Jan Decker läßt den Adlatus des Weimarer Dichterfürsten
seine an Goethe leidende Seele offenbaren. Der geistvolle
Theatermonolog braucht den Vergleich mit Hacks' "Gespräch
im Hause Stein" nicht zu scheuen. Verblüffend, wie
passend Freudsche Kategorien anmuten, die in den Text eingestreut
sind, wobei ja ein Prä-Freud, der Professor Heinroth,
als schweigsamer Anwesender Eckermanns Beichte vernimmt. Drei
montierte Zeichnungen von Kay Voigtmann mit grimmig-heiteren
Porträts vor schwarzem Hintergrund sind das bildnerrische
Äquivalent der literarischen Erhellung Eckermannscher
Dunkelzonen.
Jürgen Engler, in: Marginalien. Zeitschrift für
Buchkunst und Bibliophilie, Heft 3/2013
Nächste Lesung aus dem Buch
Siehe die Website
des Autors.
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