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 Aus dem Nachwort Ich wette: in einem seiner 
                    Leben war er ein Altberliner Droschkenkutscher. Und davor 
                    irgendwann ein Landsknecht, der den Tod verlachend ins Gemetzel 
                    zog, und in noch früherer Zeit ein Zen-Priester in Fernost. 
                    Von alledem sprechen die Gestalt und die Gestalten des Wilhelm 
                    Bartsch, dessen jüngste Wiedergeburt sich 1950 in Eberswalde 
                    ereignet hat. Rinderzüchter wurde er nun, Philosophiestudent 
                    in Leipzig, Korrektor und Rotationsarbeiter in Chemnitz, als 
                    es Karl-Marx-Stadt hieß, Dramaturg und Heimerzieher, 
                    Postfacharbeiter und Nachtwächter in Halle an der Saale, 
                    wo er seit 1976 lebt und seinem Brandenburgischen Dialekt 
                    treu bleibt.(...) Übungen im Joch nannte er im seinen ersten Gedichtband. 
                    Das war kein Kampfruf, kein Aufschrei, ein politisches Joch 
                    abzuwerfen. Nicht Prometheus oder Ikarus sind seine Helden, 
                    nicht die Lichtbringer und Himmelsstürmer, die glauben, 
                    ein spektakuläres Fanal könne die Welt verändern, 
                    sondern die Sisyphose des Alltags, die ihren Stein geduldig 
                    wälzen, die sich mit ausdauernder Kraft und Witz ins 
                    Joch spannen, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ganz 
                    und gar irdisch sind denn auch seine Verse. Nicht luftig leicht 
                    kommen sie daher, erdenschwer, sinnlich direkt bis zur Derbheit, 
                    und doch poetisch dicht in eindrucksvollen Bildern, die sich 
                    festhaken und hängen bleiben. Wie die Erinnerung an den 
                    Großvater, der den Enkel auf dem Gepäckträger 
                    seines Wanderer-Damenfahrrads in die Welt bugsiert, „ein 
                    lebendiger Fels“, in dessen Rücken auch wir, die 
                    Leser, an den Entdeckungen des Wilhelm Bartsch Anteil nehmen 
                    dürfen. (...)
 Zeigt sich die Heiterkeit und der Witz dieser erdgebundenen 
                    Verse oft erst auf den zweiten Blick, so scheinen umgekehrt 
                    die farbenfrohen Zeichnungen des Malers Moritz Götze 
                    von einer sorgenfreien Welt zu künden: ein ewiges Fest, 
                    knallig bunt unter strahlend blauem Himmel, wie die Werbung 
                    sie uns verheißt. 1964 als Sohn eines Malers und einer 
                    Teppichweberin geboren, war Götze Gitarrist und Sänger 
                    in Punkbands, hat Möbeltischler gelernt, statt Kunst 
                    zu studieren, und arbeitet seit 1985 in einer eigenen Grafik-Werkstatt 
                    mit den Mitteln der Popart: schrill, plakativ und raffiniert. 
                    Die Technik des Siebdrucks hat er zu neuer Perfektion gesteigert, 
                    seine keramischen Mosaiken und Emaille-Arbeiten erobern den 
                    öffentlichen Raum, seine Formensprache ist unverkennbar 
                    und wirkt selbst schon stilbildend.
 Zeitgemäß nennen manche die Kunst des Moritz Götze 
                    und meinen, sie sei so oberflächlich wie das Konsumzeitalter. 
                    Doch verwechsle man den Boten nicht mit der Botschaft. Haben 
                    sie denn eine, diese Bilder, die nur eine Oberfläche 
                    fixieren? Ein reines Farbenspiel für die Sinne ohne Sinn 
                    dahinter oder darüber hinaus, ohne Perspektive, alles 
                    bewegt und erstarrt zugleich, Menschen wie Dinge vereinzelt, 
                    beziehungslos, Atome, schwebend im luftleeren All, gehalten 
                    nur durch schwarze Linien, die sie umranden wie Traueranzeigen? 
                    Melancholisch ist die Heiterkeit dieser bunten Bilder, die 
                    nicht lügen, indem sie unsere Lüge festhalten: den 
                    Himmel auf Erden in paradiesischer Endzeit.
 Der denkbar schönste Kontrapunkt zu Wilhelm Bartschs 
                    Gedichten: poetische Welterkundungen in Wort und Bild.
 
    Leseprobe Die alte Marke Wanderer Mein Großvater 
                    schnallte das Kissen auf den Gepäckträgerdes „Wanderer“-Damenfahrrades, er sagte: Nun schwing 
                    dich
 hinauf! Es war ein rußschwarzes Klettergerüst
 hoch zum Fahrtwind, ein Eisenzeitmonster, ein Sicherheitsnetz
 überspannte das Hinterrad noch und verkleidet waren
 mit Blech die krachenden Ketten, der Lenker war mächtig
 wie Auerochshörner, man radelte aufrecht den Wind an
 auf den kleinen Weltreisen. Denn immer, wenn Großvaters 
                    Baß
 sich lauthals erleichtert hatte im Chor der Altlutheraner
 am Tage des Herrn - fuhr er mich stets durch Himmel und Hölle
 der Welt. - Heut zeig ich dir Wasser, Wilfried! so sprach 
                    er
 zum Beispiel, das fließt von unten nach oben! – 
                    Ich liebte
 den Springquell voll märkischem Blutsand als Edelsteinwäsche
 und nasses, stummes Feuerwerksspiel. Wir stiegen
 oft ab, ich liebte die Bunker so bleich, die Knochen so grün
 und Rost und geschwärzte Mauern in Kuckuckslichtnelken,
 den Eisendrahtstumpf in den Kuscheln, den Großvaterfreund,
 dem links in der Tasche sein eines Hosenbein und da drin,
 unendlich gespiegelt in sich, die Henry-Milchbonbonschachtel
 stets steckte. Vor mir steht oft wie ein Knacken des Rücktritts
 die Kindheit, von Halt zu Halt mit dem „Wanderer“ 
                    urbi
 et orbi. Und wie ein lebendiger Fels wogt noch vor mir
 der gewaltige Großvaterhintern, ich hielt mich und strippte
 die wogenden Stahlfederzitzen da unterm Sattel.
 Und wie stahlblaue Milch scharf am Eimerrand klingelt,
 so molk ich die Welt, von einem Ort zu dem andern,
 und Großvater butterte zu mit kurbelnden Füßen.
 
 Pressestimmen Das Titelstück steht am 
                    Anfang und ist ein Großvater-Gedicht, mit viel echter 
                    Liebe und ohne falsches Pathos geschrieben. Es gehört 
                    zu der Abteilung Uckermärkische Gedichte. Alle lyrischen 
                    Texte hat Bartsch nach Landschaften geordnet, die mal mehr 
                    und mal weniger real sind, die er selbst bereist oder lesend 
                    erkundet hat. Also radeln wir mit ihm durch den tiefen Sand 
                    der Mark, setzen mit dem Schiff über auf die Greifswalder 
                    Oie, begreifen die Kathedrale zu Bari und lassen uns das Wendland 
                    zeigen.Illustriert werden Bartschens so wunderbar erdenschwere und 
                    doch alles andere als hermetischen Verse von den luftig-leichten 
                    und popart-bunten Zeichnungen des halleschen Künstlers 
                    Moritz Götze
 Kai Agthe, in: Palmbaum. Literarisches Journal aus 
                    Thüringen, Heft 1/2012
 
 Einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker 
                    seiner Generation. Und nach wie vor aufs Anregendste unabkömmlich 
                    in Mitteldeutschland, wo der Wilhelm-Müller-Literaturpreisträger 
                    als Sekretär der Klasse für Literatur und Sprachpflege 
                    der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden vorsteht, 
                    der einzigen ostdeutschen Akademie ihrer Art.
 Aufs Anregendste unabkömmlich: Das trifft auch auf diesen 
                    bibliophil gestalteten, mit den wie in Zigarettenbilder-Manier 
                    eingeklebten Reproduktionen farbiger Moritz-Götze-Zeichnungen 
                    ausgestatteten Band zu .... Ein Büchlein in der Anmutung 
                    der Quarthefte aus dem Wagenbach-Verlag. Aufs Anregendste 
                    unabkömmlich aber vor allem, weil sich Bartsch in seinem 
                    neuen Lyrikband keinerlei Zügel anlegt. Querfeldein zieht 
                    der 61-Jährige in zehn Abteilungen durch seine Landschaften: 
                    von der Uckermark aus an die Ostseeküste, durch das Wendland, 
                    Irland, Italien, Amerika, das äußere und innere 
                    Deutschland. Jahresringe einer Dichterbiografie, die man gerne 
                    sieht. Denn in den besten seiner neuen Gedichte zeigt sich 
                    Bartsch so frisch und frei wie in seinem bis heute ganz unverbrauchten 
                    Debüt "Übungen im Joch" von 1986. Vergnügen 
                    und Freiheit: Das teilt sich mit. (...)
 Großartig ist Bartsch, wenn er nah und seelenruhig an 
                    der Landschaft schreibt und an der eigenen sinnfälligen 
                    Erfahrung. (...) Die alte Marke Wanderer: Das meint die liegen 
                    gebliebenen Fortschrittsgerätschaften der Menschheit 
                    genauso wie die auf ihrem jeweils eigenen Weg gebliebenen 
                    Landsleute, das ist der Dichter genauso wie sein Leser, den 
                    Bartsch in der Nachbemerkung "Meine Poetologie" 
                    als "nach-lesenden Dichter" begreift, als einen, 
                    der bei der Lektüre das Gedicht fortschreibt.
 Christian Eger, in: Mitteldeutsche Zeitung
 
 So wie die Landschaften wechseln, so wechselt 
                    auch die Gestalt des Dichters, ohne sich je zu maskieren. 
                    Es ist etwas Protheisches in den Gedichten Bartschs; das lyrische 
                    Ich erscheint in jedem Gedicht ein wenig anders, denn "jedes 
                    gute Gedicht trägt wie ein Vexierbild seine ganz eigene 
                    Poetologie schon in sich". Die Gedichte verändern 
                    sich beim mehrmaligen Lesen, wenn die Oberfläche des 
                    lyrischen Gebildes durchstoßen ist und sich Melancholie, 
                    Heiterkeit und Witz des Gedichtes erschließen. In diesem 
                    Sinne korrespondieren sie mit den Zeichnungen des Hallenser 
                    Malers Moritz Götze, die unsere "schöne, neue 
                    Welt" in knallbunten Farben zeigen und erst nach mehrmaligem 
                    Betrachten ihren hintergründigen Humor preisgeben. Für 
                    Bartsch heißt gute Gedichte zu schreiben, es zuzulassen, 
                    dass die "Schönheit mit den unmöglichsten Galanen 
                    tanzt" (Pablo Neruda).
 Dietmar Ebert, in: Thüringische Landeszeitung 
                    (TLZ)
 
 Erfrischende Gedichte, die immer auch reale Verortung 
                    brauchen, erwarten uns. Und dass eine Widmung auf Seite 42 
                    an Volker Braun geht, kann auch nicht verwundern, erblickt 
                    der Rezensent hier in den Texten und Biografien eine Verbindungslinie. 
                    (...) Die Sätze zur Poetologie im Nachtrag des Bandes 
                    treffen tief, zum Mitmeißeln geeignet. Fünf Zeichnungen 
                    von Moritz Götze sind beigefügt, stehen als Kontrast 
                    und doch passend ....
 Thomas Ernest, in: Ostragehege, Heft 1/2013, Nr. 69, 
                    Dresden
 
 Bartschs Gedichte bilden eine Art Autobiographie in Lebenslandschaften 
                    ab. (...)
 „Bartsch ist eine seltsam originäre Begabung“, 
                    schreibt Kollege Manfred Jendryschik über ihn. „Ein 
                    intellektuell kontrolliertes Eintauchen in die Geschichte, 
                    ein Kennen aller möglichen Wunden und gleichzeitig der 
                    vital-plebejische Grundgestus, daß die Worte aus den 
                    Nähten zu platzen scheinen.
 Klaus Seehafer, auf: www.alliteratus.com
 
 Wie Provinz sich in Welt ausdehnt und Weltorte als 
                    poetische Provinz besiedelt werden, demonstriert Wilhelm Bartsch 
                    in kraftvollen Gedichten. ... Landschaften werden im Ineinander 
                    von Früh- und Spätgeschichte erlebt, von Mythos 
                    und Alltag. Dem Band sind popartige Farbzeichnungen von Moritz 
                    Götze beigegeben, die jene höhere Naivität 
                    des Lust-Spiels andeuten mögen, das Lyrik auch bedeutet.
 Jürgen Engler, in: Marginalien. Zeitschrift für 
                    Buchkunst und Bibliophilie, Heft 3/2013
 
 Was die Stärke der lyrischen 
                    Stücke von Wilhelm Bartsch ausmacht, das ist die urwüchsige 
                    Sprache, sind die muskulösen Metaphern, bleiben die burschikosen 
                    Bemerkungen, die sich in noch einem jeden Text zu derben bis 
                    deftigen Sinnbildern fügen. Diese Art Lyrik ist so ziemlich 
                    einmalig, ist bauernschlau und feinsinnig zugleich. (...)
 Dieser Dichter ist kein Stein-, er ist ein Wortmetz.
 Michael Ernst, in: Signum, 2013.
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